Trennung Kunststoff-Kupfer in einem Kabelschredder

Stand der Technik im Elektroschrottrecycling: Was bedeutet das genau?

Im Kontext der Abfallwirtschaft spricht der Gesetzgeber oft vom «Stand der Technik», den eine Anlage oder ein Verfahren erfüllen muss. Aktuell wird der Begriff im Entwurf zur «Vollzugshilfe zum Stand der Technik der Entsorgung von elektrischen und elektronischen Altgeräten» des Bundesamtes für Umwelt präzisiert. Diese wird nächstens veröffentlicht. Was bedeutet der Begriff in der Praxis und wie steht er zu privatrechtlichen Normen?

In der Verordnung über die Vermeidung und die Entsorgung von Abfällen (Abfallverordnung, VVEA) wird der Stand der Technik in Artikel 3 definiert als «der aktuelle Entwicklungsstand von Verfahren, Einrichtungen und Betriebsweisen, der: 1. bei vergleichbaren Anlagen oder Tätigkeiten im In- oder Ausland erfolgreich erprobt ist oder bei Versuchen erfolgreich eingesetzt wurde und nach den Regeln der Technik auf andere Anlagen oder Tätigkeiten übertragen werden kann, und 2. für einen mittleren und wirtschaftlich gesunden Betrieb der betreffenden Branche wirtschaftlich tragbar ist». Analog findet sich der Begriff in Artikel 3, Buchstabe h der Verordnung über die Rückgabe, die Rücknahme und die Entsorgung elektrischer und elektronischer Geräte (VREG).

Im Umweltschutzrecht leitet sich der Begriff aus dem Vorsorgeprinzip ab, nach dem schädliche und lästige Einwirkungen frühzeitig zu begrenzen sind. Eine Anlage nach dem Stand der Technik soll sicherstellen, dass keine veralteten Verfahren eingesetzt werden, wenn bessere Verfahren verfügbar sind. Der Begriff beschreibt keine bestimmte Technologie, sondern eine Leistungsanforderung und er löst dadurch eine Dynamik in Richtung einer kontinuierlichen Verbesserung aus.

Mit der zweiten Bedingung, der wirtschaftlichen Tragbarkeit, wird in der Definition zum Stand der Technik zum Ausdruck gebracht, dass sich Verfahren, die erst im Labor- oder Pilotmassstab verfügbar sind, nicht zwingend auf grosse, kommerziell betriebene Anlagen hochskalieren lassen. Damit sie als «gemäss dem Stand der Technik» erklärt werden können, muss nachgewiesen werden, dass ein neues oder weiterentwickeltes Verfahren in der Praxis eingesetzt werden kann. Der Stand der Technik bereitet aber auch das Terrain für fortschrittliche Technologien auf, die alleine durch bestehende gesetzliche Grundlagen allenfalls zu wenig «Rückenwind» erhielten.

Mit der Vollzugshilfe zum Stand der Technik der Entsorgung von elektrischen und elektronischen Abfällen will das Bundesamt für Umwelt (BAFU) einerseits sicherstellen, dass die Entsorgung dieser Abfälle umweltgerecht und mit etablierten Technologien erfolgt. Andererseits will das BAFU mit der Vollzugshilfe auch klare Rahmenbedingungen und damit Rechtssicherheit und gleich lange Spiesse für alle betroffenen Unternehmen schaffen. 

Normen und Stand der Technik

Wie sieht es mit privatrechtlichen Regelwerken, d. h. Normen und Standards, aus? Wie stehen diese zum Stand der Technik? Oft geht man davon aus, dass privatrechtliche Normen den Stand der Technik widerspiegeln, da sie ja fortlaufend weiterentwickelt werden. Gemäss der Internationalen Normenorganisation (ISO) ist eine technische Norm eine «technische Spezifikation bzw. ein Dokument, das der Öffentlichkeit zugänglich ist, in Zusammenarbeit mit allen interessierten Kreisen und mit deren Konsens oder allgemeiner Billigung aufgestellt wird, sich auf die vereinten Ergebnisse von Wissenschaft, Technik und Erfahrung stützt, den grössten Nutzen der Allgemeinheit zum Ziel hat und von einem qualifizierten Gremium auf nationaler, regionaler oder internationaler Ebene angenommen wurde».

Privatrechtliche Normen haben keine verbindliche Rechtskraft. Rechtskräftige Erlasse stehen ausschliesslich den Behörden zu. Oft verweist der Gesetzgeber allerdings auf Normen, z. B. im Baubereich auf die SIA-Normen, welche die anerkannten Regeln der Technik festhalten. Damit kann den Normen auch eine rechtliche Wirkung zufallen. Eine Norm kann dazu dienen, den Stand der Technik festzulegen. Umgekehrt kann ein neuer Stand der Technik auch dazu führen, dass eine veraltete Norm angepasst werden muss. Beides steht in einer dynamischen Beziehung zueinander.

Ist die Norm SN EN 50625 noch aktuell?

Wie sieht das nun in der Praxis im Hinblick auf die vor der Publikation stehende Vollzugshilfe zum «Stand der Technik der Entsorgung von elektrischen und elektronischen Altgeräten» des Bundesamts für Umwelt aus? Sind aufgrund dieses behördlichen Instruments, dem keine direkte Rechtswirkung zukommt, die in der Schweiz angewandten Normen der Reihe SN EN 50625 aus dem Jahr 2014 noch zeitgemäss?

Wie schon im Fachbericht 20231 erläutert wurde, geht die Vollzugshilfe in einigen Bereichen weiter als die bestehende Norm. Beispielsweise erhält die Rückgewinnung von Funktionen gegenüber dem stofflichen und thermischen Recycling mehr Gewicht. Zudem sind werthaltige EAG möglichst zerstörungsfrei vorzubehandeln, um eine optimale Wertstoffrückgewinnung zu ermöglichen. Auch im Umgang und Transport von Lithium-Batterien und den damit verbundenen Gefahren geht die Vollzugshilfe weiter als die Norm, indem Schüttguttransporte von EAG, die noch Batterien enthalten, untersagt sind. Mit der Forderung nach Rückgewinnung von seltenen Technologiemetallen – sofern es entsprechende Verfahren gibt – unterstützt die Vollzugshilfe Entwicklungen in diese Richtung.

Um den Stand der Technik gemäss VREG sicherzustellen und weiterzuentwickeln, sind geeignete Indikatoren festzulegen, mit denen der Leistungsstand der Verfahren, Einrichtungen und Betriebsweisen beurteilt werden kann. Zur Festlegung kreislauforientierter Leistungsziele wird der Umweltnutzen der eingesetzten Anlagen und Verfahren zunehmend an Bedeutung gewinnen. Im Projekt e-conseg des Bundesamtes für Umwelt, das 2024 abgeschlossen wird, werden Indikatoren für eine kreislauforientierte Behandlung von Elektroaltgeräten (EAG) entwickelt2. Diese neuen Beurteilungsindikatoren werden in der Folge auch die Vollzugshilfe und damit die Normensetzung beeinflussen.

1 Böni, H.: Kreislaufwirtschaft bei der EAG-Entsorgung - die BAFU-Vollzugshilfe zum Stand der Technik setzt neue Massstäbe; Fachbericht 2023 SENS und Swico
2 Wehrli, A., Remmen, K., Böni, H.: Für eine optimierte kreislaufähige EAG-Behandlung der Zukunft; Fachbericht 2023 SENS und Swico

Quellen: 

1. Schweizerische Normenvereinigung (SNV); Normung und Recht – der rechtliche Status von Normen (2013)

2. Bundesamt für Umwelt (BAFU); Allgemeine Bestimmungen der VVEA; Ein Modul der Vollzugshilfe zur Verordnung über die Vermeidung und die Entsorgung von Abfällen (Abfallverordnung, VVEA); Umwelt-Vollzug (2024); Entwurf (noch nicht publiziert)